einmal im jahr komme ich zu dir. erst stehe ich eine weile verlegen herum, dann zupfe ich ein bisschen unkraut, stelle eine neue kerze in dieses lämpchendings, zünde sie an und setze mich auf den kiesweg neben dich. in meinem kopf erzähle ich dir, was im vergangenen jahr bei mir alles los war. heute dauert das länger als sonst. zum einen, weil so viel passiert ist, zum anderen, weil ich während des jahres nicht oft mit dir gesprochen habe. denken tue ich noch an dich, aber mit dem sprechen, das wurde weniger im laufe der zeit. während ich also erzähle, sehe ich es genau vor mir, an welchen stellen du lachst, staunst, das gesicht verziehst, wütend wirst, mir einen schubs verpasst oder den kopf schüttelst. aber vielleicht wäre es auch ganz anders. es bleibt eben nichts als vage vorstellungskraft. eiskalt ist es heute und ich muss an dein auto denken, dessen heizung immer kaputt war und wie wir im winter mit lauter musik, meist französischer rap, durch die gegend fuhren, mit roten nasen, zähneklappernd und beim aussteigen das gefühl hatten, draußen sei es wärmer als im 'arktismobil'. irgendwann bin ich leererzählt und die wut steigt in mir hoch, wie jedesmal. bei deinem letzten anruf hattest du gesagt, du würdest immer irgendwie da sein und auf mich aufpassen. na, klappt ja super, denke ich mir. streng dich halt mehr an. auf dem rückweg klingel ich bei deiner mutter. ich melde mich nie vorher an, sie öffnet mir stumm die tür, wir gehen in die küche, sie stellt mir eine tasse kaffee hin, kuchen hab ich mitgebracht, obwohl ich weiß, dass sie nichts isst an diesem tag. wir reden nicht, eigentlich ist sie gar nicht da. ich auch nicht, aber das macht nichts. ich spüle ein bisschen geschirr, räume die leeren schnapsflaschen in den abstellraum und lege ihr eine decke um die schultern, sie ist unglaublich dünn angezogen und hat alle fenster aufgerissen. irgendwann sagt sie doch etwas: deine augen, mädchen. die gefalln mir nicht. du musst härter werden. dann fängt sie an zu weinen.
"heute dasselbe fühlen wie gestern heißt nicht fühlen - heißt sich heute an das erinnern, was man gestern gefühlt hat, heißt heute der lebendige leichnam dessen zu sein, was gestern gelebt und verlorenging."
seit sechs tagen schiebe ich jeden tag für ein paar stunden einen rollstuhl durch die stadtviertel rund um das krankenhaus. wenn man das tut, nimmt man die welt ganz anders wahr - als anstrengenden hindernisparcours. überall stehen sachen rum, es gibt treppen, hürden, herumstehende menschen, die keinen platz machen, hohe trottoirs-kanten, löcher im asphalt, holprige gullydeckel, große blumenkübel mitten auf dem weg, die es zu umrollern gilt.
in der krankenhauscafeteria sind ständig die stühle im weg, die eistruhe steht in einer strategisch dämlichen ecke, der eingang zum kassenbereich ist mit zeitungsständern zugestellt, die kuchentheke ist so hoch angebracht, dass man nichts ankucken, geschweige denn selbst rausnehmen kann. toilettenschüsseln, waschbecken, lichtschalter sind alle in unerreichbaren höhen festgeschraubt.
wenn man einen kinderwagen schiebt, kann man rücksichtslosen menschen gut in die hacken fahren, wenn sie auch nach mehrmaligem bitten nicht zur seite gehen. lenkt man aber einen rollstuhl, kann man diesen schlecht als rammbock benutzen, da ja noch einer drinsitzt, der keinen schutz um sich herum hat und sich wehtun könnte.
ich schäme mich für die zwei male, die ich in meinem leben aus faulheit auf einem behindertenparkplatz geparkt habe, nur weil ich keine lust hatte, noch paarmal um den block zu fahren oder einige meter länger zu laufen.